Neben meiner Tätigkeit als AFBlerin bin ich außerdem als Guerilla für das Landleben unterwegs. Unterschwellig schreibe ich immer wieder darüber, wie es ist an einem Ort zu leben, wo Pokémon-Spieler als reines Medien-Phänomen gelten.
*Zugezogen* - mit dieser Event-Frage von Friederike von LandLebenBlog hole ich nun zum Rundumschlag meiner Lebensgeschichte aus. Also nahezu... Hinter mir liegt ein U-Turn: Vom Land in die Stadt aufs Land.
Pupertät auf dem Land - das war mein persönliches Alcatraz. Mit dem Bus eine halbe Stunde bis zur nächsten Kleinstadt, der letzte, der abends um 9 zurück nach Hause fuhr - das wünscht man keinem Pickel-Träger. Für mich war Dorf zu der Zeit etwas für Menschen, die Hobbys haben, wie einfahrende Züge zu fotographieren oder startende Flugzeuge. Oder eben im Kleintierzüchterverein Hasen züchten oder im Musikverein Tuba spielen.
Ich aber, ich wollte dorthin, wo das Leben tobt, an den Ort, wo an Schlaf nicht zu denken ist, in das (Epi)Zentrum von Kultur, Kommerz und Kunst. Naja, es wurde die nächste Großstadt Karlsruhe, bei der man (ich muß es nicht einfügen) das Groß ruhig streichen darf. Aber es reichte, die Nacht zum Tage zu machen. Und exakt darum ging es. Offiziell zog ich natürlich wegen Bildung und Studium in die Stadt, inoffiziell aber zum Feiern: ich wollte Rausch, ich wollte tanzen, ich wollte Abenteuer. Und ich bekam auch von dem kleinen Karlsruhe, was ich wollte. Ohne meine Ausbildung mit der Einstellung wirklich zu gefährden. Bis die erste, große Liebe zerbrach. Ein Einbruch, Umbruch, ein Umdenken. Vorallem weil der Ablenker von dieser Miesere, der nächste Freund, mich immer wieder in das Familien-Ferienhaus mitten im Wald entführte.
Dort aufzuwachen, innerlich ständig irgendwie aufgeraut, mit nackigen Füßen durchs Gras zu den Pferden zu laufen - ein Durchschnaufen, das alte Sehnsüchte wachkitzelte, verbunden mit dem Wunsch, wieder aufs Land zurückzuziehen. Niemals nie, also wirklich niemals nie zurück ins Heimatdorf. Das hatte ich beim ersten Mal bewußt für immer verlassen...
Bis, maktub, die Begegnung meines Lebens sich zur Liebe wandelte. Zu dem Habib in das glizzekleine Gigors mit der Traumaussicht zu ziehen, das war die beste Entscheidung meines Lebens (sofern man bei Schicksal über Beschluß reden kann). Für mich war es gar der große Schritt Richtung Gesundheit. Ich hörte mit dem Rauchen auf, mit dem Trinken, dem Nachtleben und nach und nach mit meiner inneren Nervosität. Mein Leben hätte sich überhaupt nicht mehr wandeln können. Leichterdings liese sich ein Buch füllen, warum in, mit und von der Natur leben, mir wohl tut (Stille, Gartenküche, Selbstversorgertum, nackige Sommerfüße, saubere Luft, Sternenhimmel, Slomo...) .
Ebenso leicht wäre es, hier nun Grabenkämpfe zu eröffnen zwischen Städter und Dörfler. Laut Hauptmann wohnten für die damalige Landbevölkerung in der Stadt eh nur *unnütze Fresser und Faulenzer*. Zieht man noch Georg Simmels kritische Auseinandersetzung mit der Großstadt dazu, liese sich daraus ein waschechtes Scharmützel eröffnen.
Aber an der Stelle kann ich mit schöner Fairness der Verhältnisse abwiegeln: es wohnen auf dem Land genauso viel Vollhonks wie in der Stadt. Allerdings in aller Regel weniger inkognito. Denn jedes Dorf beheimatet mindestens einen Haushalt, dessen Interesse weit über die Grenzen seines eigenen Gartenzauns in das Leben seiner Nachbarn reicht (Ausgangspunkt des arabischen Telefons). Außerdem kenne ich nun wirklich niemanden, der wegen der Landbevölkerung aufs Land gezogen wäre. Es ist die Natur, die anzieht. Die Landschaft. Die Weite. Der Platz.
Nimmt man als Gleichnis für das Gemüt einen See, dann hat man auf dem Land die Chance, jeden noch so kleinen Kieselstein mitzubekommen, der Wellen verursacht. In der Stadt hingegen scheint die Seeoberfläche permanent in Bewegung durch all die windigen Eindrücke, die darüber streichen. Daher würde ich als wesentlichen Unterschied nennen, dass man auf dem Land die Möglichkeit hat, sich selbst näher zu kommen, sich selbst näher kennenzulernen. Ob das nun als Vorteil oder Nachteil zu werten ist, darf jeder selbst entscheiden.
Wem der Kontakt mit anderen Menschen fehlt - Stichwort *Aufnahme in die Gemeinschaft* - dem darf ich verraten, dass einem so gut wie nie die Haltung entgegen schlägt: *Du hast uns gerade noch gefehlt*. Auch da gleichen sich Stadt und Land sehr. Wer nicht darauf warten kann, dass natürliche Gesetze greifen wie Anziehung, dem empfehle ich tatsächlich das Vereinsleben. Wer in die freiwillige Feuerwehr oder zum Sport geht, sich einer Assoziation anschließt oder gerne im Chor singt - voilà, durchaus ein Beschleuniger. Aber lernt man in der Stadt nicht auch vorallem dann Menschen näher kennen, wenn man sie regelmäßig bei einer gemeinsamen Beschäftigung sieht?
Schön eigentlich, dass ich dabei bemerke, dass ich bei diesem Thema überhaupt nicht streifen muß, dass wir in Frankreich leben. (Diese ganze Nationalitäten-Rauferei ist für mich eh sowas von rückständig). Fürs Outback-total, wie unser eins, gilt man bereits als Fremder, wenn man vom Nachbardorf hierher zieht. Wobei die alteingesessene Dorfbevölkerung, die, die ihr Dorf nie verlassen hat, am Aussterben ist - vielmehr bestehen die Dörfer um uns herum zunehmend aus einem Gemisch von verschiedenem Generationen, Nationalitäten, Ferienwohnungenbesitzer uswusf... Zeichen der Zeit eben und besser so. Denn wer sein Geburtsort nie verlassen hat, der läuft mit Brett vorm Kopf spazieren.
Typisch für das Landleben: man hat längere Wege und braucht ein Auto. Ohne gehts nich. Und ein auffallend weiterer Unterschied zur Stadt: Äußerlichkeiten spielen eine bedeutend geringere Rolle. Ein Fleck auf der Hose, ein Bad-Hair-Day - ein ganz normaler Tag also. Dabei finden sich immer und überall ein paar Minütchen zum Plaudern. Wer gestresst ist, fällt unangenehm auf.
Manchmal wünsche ich mir einen Streichelzoo um uns, denn mit Tieren zusammen zu leben, ist ein absolutes Landpuls. Darauf verzichten wir zugunsten unserer Winterreisen. Manchmal verwünsche ich meinen Coiffeur, und bin mir gewiß, der Maître, der mir die Friese meines Lebens verpassen könnte, sitzt irgendwo in einer Großstadt. Manchmal erinnere ich mich, wie mir ein Fahrrad als Fortbewegungsmittel ausgereicht hat. Oder wie eingesperrt ich mich im Sommer fühlte in meiner Stadtwohnung. Oder wie es ist, in ein Menschengetümmel zu geraten. Oder wie ich versuchte, der ständigen Geräuschkulisse mit viel Musikhören entgegenzuwirken.
Für mich bleibt es eine der elementaren Grundsatzfrage für das eigene Leben: Wohne ich auf dem Land und besuche ab und zu die Stadt (zum Bummeln, Kino, Konzert...) oder umgekehrt, lebe ich in der Stadt und besuche ab und an das Land (wandern, Pichnick...). Damit entscheide ich mich automatisch für eine Umgebung, die mich entweder mehr natürlich oder mehr künstlich beeinflußt. Und das muß jeder für sich selbst wissen. Ich für mich weiß, was ich bevorzuge und warum.